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Wenn du in Eile bist, mache einen Umweg

Ich habe schon länger keinen Eintrag mehr gemacht, der sich eher mit den inneren Welten beschäftigt.
Es wird mal wieder Zeit.

Wer viel Seelenarbeit betreibt, sich gerne weiterentwickeln will und sich selbst oft reflektiert, der wird sie kennen.
Diese Tiefphasen, in denen irgendwie nichts mehr wirklich sinnvoll erscheint, das eigene Handeln vermeintlich zu nichts führt und der Elan dementsprechend völlig fehlt.

Je nachdem, an was man glaubt, fällt es in solchen Zeiten schwer, sich tatsächlich noch an etwas Größerem auszurichten oder dessen Sinn zu erkennen.

Letztens habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sogar noch viel nerviger sein kann, wenn man bereits an dem Punkt ist, an dem man eigentlich verstanden hat, dass es tatsächlich einen höheren Sinn gibt. Dass nicht immer alles rosa sein kann und dass manche Stationen im Leben auch erlebt werden wollen und sollen. Selbst wenn sie eben alles andere als schön sind.
Denn auch wenn man das alles verinnerlicht hat und daran glaubt, hält das Leben eben trotzdem immer wieder Tiefschläge bereit. Die einen verletzen, verunsichern, traurig oder verzweifelt sein lassen und einen in ein schwarzes Loch stürzen.
Und dann?
Also ich persönlich habe dann immer wieder damit zu kämpfen, erstmal enttäuscht und wütend auf das große Ganze zu sein.

„Warum muss das jetzt passieren? Ich gebe mir doch solche Mühe!
Ich versuche so wenig Leid wie möglich zu verursachen, ehrlich, liebevoll und hilfsbereit zu sein und die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Und zum Dank wird mir immer wieder ein Bein gestellt, werde ich ausgenutzt, betrogen oder angegriffen?
Was soll das?“

So, oder so ähnlich kann es dann schon einmal im Kopf rund gehen.
Und wenn dann auch noch ein kleines Stimmchen im Hintergrund anfängt davon zu erzählen, dass man doch aber weiß, dass nicht immer alles gut laufen kann und dass solche Situationen dazu gedacht sind, daraus zu lernen und zu wachsen.
Tja, dann wird der innere Widerstand erstmal so richtig groß. Zumindest bei mir.
Oder es erscheint alles noch sinnloser, denn offenbar führen die ganzen Bemühungen ja nicht dazu, es besser zu machen.
Gleichzeitig sagt dann aber auch noch ein Teil in einem: „Na hör mal, du weißt es doch inzwischen besser. Warum lässt du dich denn jetzt so gehen? Du solltest einfach akzeptieren, dass eben gerade nicht alles toll ist, denn es wird auch wieder anders werden.“

An diesem Punkt wollte ich vor ein paar Tagen am liebsten wieder einmal alles hinwerfen, wütend und enttäuscht über alles sein und mich in meinem Trotz so richtig über alles aufregen.
Aber irgendwie kam der Impuls dazu nicht.

Ich habe ja schon mehrfach erwähnt, dass ich täglich 45 Minuten von meinem Zuhause zum Büro brauche und in dieser Zeit quer durch das oberbayerische Land fahre. Auf dieser Route habe ich auch die eine oder andere Freundschaft mit Bäumen geschlossen.
Mit ihnen nehme ich beim Vorbeifahren Kontakt auf, grüße sie, wünsche einen schönen Tag oder winke in Gedanken.
Meist antworten sie in Bildern, einer aber inzwischen auch in Worten.

Da sich die Wut diesmal nicht so richtig einstellen wollte, war ich einfach nur niedergeschlagen und traurig über Situationen, die mir das Leben schwer machen und höchst ungerecht zu sein schienen.
„Meine Bäume“ reagierten mit Verständnis, als ich 3 Tage nicht freudig grüßend an ihnen vorbei fuhr, sondern nur traurig winkte.
„Mein sprechender Baum“ versuchte mich immer wieder aufzumuntern und sagte mir, dass trotzdem alles gut werden würde. Er verstand aber auch, dass ich gerade aus meinem Tief noch nicht wieder heraus kam.
Allein dieses Verständnis dafür, dass ich traurig sein durfte, gab mir schon etwas Trost.
Am dritten Tag war ich noch immer tief betrübt und antriebslos und fragte mich, warum ich nicht einfach alles hinwerfen würde.
Als ich wieder an meinem Baum vorbeifuhr, sagte ich ihm, dass es mir wirklich leid tue, aber ich könne gerade einfach noch nicht sehen, wohin das alles führen sollte und ich käme auch einfach noch nicht aus meinem Tief heraus.
Er antwortete mit einem Lächeln und sagte: „Diese Körper sind dazu gemacht, so zu reagieren.“

Mit einem Satz hatte er es auf den Punkt getroffen.
Und ich war wie vom Blitz erschlagen.

In mir ging ein Licht auf und es ergab wieder einmal alles so wunderbar Sinn.
Wie konnte ich das nur vergessen?

Unser Körper, unser Werkzeug für dieses Leben, muss sich genauso an seine Betriebsanleitung halten, wie alle anderen Werkzeuge.
Und wenn uns etwas verletzt, dann verursacht das viele verschiedene Reaktionen in unserem Körper und löst sogar Kettenreaktionen aus.
Eine davon läuft aus seelischer Ebene ab.
Unser Körper versucht jede Verletzung zu reparieren.
Wie jeder Mechaniker macht er das in Arbeitsschritten. Einen nach dem anderen.
So wie eine Schürfwunde nicht von jetzt auch gleich verheilt, nur weil man verstanden hat, woher sie kommt, so heilen auch seelische Wunden nicht sofort, nur weil der Verstand das gerne so hätte.

Egal in welchen emotionalen Zustand wir durch eine Störung gelangen, wir können sicher sein, dass unser Körper versuchen wird, uns so schnell wie möglich wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Übrigens sind auch körperliche Leiden oft Teil eines seelischen Heilungsprozesses.

Deshalb ist jede Phase der Heilung, die er dabei durchlaufen muss, wichtig und richtig.
Eine davon ist z. B. eine gewisse Antriebslosigkeit, in der man keinen Sinn mehr erkennen kann. Eine der schlimmsten, wie ich finde, weil einem jeder Antrieb für Veränderung zu fehlen scheint. Und dabei wäre Veränderung doch das Einzige, das einen wieder aus diesem Schlamassel herausholen könnte.
Aber was passiert in dieser Phase?
Der Körper geht auf Standby. Denn jetzt wird erst einmal Seelenarbeit betrieben. Emotionen werden durchlebt und dabei verarbeitet.

Man kann sich das vorstellen wie eine entzündete Wunde. Die Entzündung regt zwar auch den Heilungsprozess an, muss aber erst wieder abklingen, bevor die Wunde richtig heilen kann.
In dieser Zeit ist erstmal keine Verbesserung zu erkennen, obwohl schon längst eifrig daran gearbeitet wird.

Und so ist das auch bei emotionalen/seelischen Wunden.
Auch sie müssen verschiedene Phasen der Heilung durchlaufen, bevor sie wirklich verheilen können.
Wichtig ist also, dass wir jede dieser Phasen akzeptieren und zulassen. Sonst verlängern wir den Heilungsprozess nur.

Das alles sagt sich natürlich leichter als es dann getan ist.
Aber das Wissen über die Zusammenhänge kann in einer solchen Tiefphase helfen, sich diesem Heilungsprozess leichter hingeben und ihn zulassen zu können.

Zugegeben, ich war nach drei Tagen tiefer Niedergeschlagenheit schon über meine eigentliche Geduldgrenze hinaus und wollte, dass es endlich wieder besser wird.
Vor allem, weil die drei Tage ja nur die Spitze des Eisberges waren. Angebahnt hatte sich dieses Tief schon viele Tage vorher, bis dann ein Tropfen das Fass zum Überlaufen brachte.
Aber ich versuchte trotzdem immer wieder auf´s Neue, diese Niedergeschlagenheit zu akzeptieren und sie zuzulassen.
Es fiel mir nicht unbedingt leicht, alles auf Pause zu schalten, nur das Nötigste zu tun oder zu organisieren, während sich in mir die Niedergeschlagenheit so richtig breit machte.
Aber gleichzeitig fühlte es sich gut und richtig an, zuzulassen, was gerade gefühlt werden wollte.
Und kurz nach der kleinen Erleuchtung durch meinen Baum machten sich erst Erkenntnis, dann Akzeptanz und schließlich neuer Tatendrang in mir breit.

Früher oder später gelangt man natürlich immer an diesen Punkt.
Warum sich also so dermaßen davon vereinnahmen lassen, anstatt zu versuchen, es so schnell wie möglich zu durchleben und zur Lösung zu gelangen?

Nun, emotionale Verletzungen sind für den Körper nicht viel anders als andere Verletzungen oder Krankheiten.
Wer schon einmal eine Erkältung verschleppt hat wird wissen, dass das auf lange Sicht anstrengender ist, als für 3 Tage so richtig krank zu sein.
Allein schon weil all die Dinge, die man in der Zeit erlebt, in der man sich nebenbei mit der Erkältung herum schlägt, nicht so viel Freude machen, wie sie es könnten.

Dieses Gefühl hatte ich dieses Mal auch.
Anders als zu anderen Tiefphasen, fühlte sich diese tatsächlich richtig abgeschlossen und ausgeheilt an.
Keine weiteren Gedankenkarusselle, oder Phasen von Wut oder Enttäuschung.
Nachdem ich all diesen Phasen den Raum gegeben hatte, den sie brauchten, verschwanden sie auch wieder und ich kann jetzt wieder voller Tatendrang und Freude weitermachen.

Dem Körper und dem Geist bewusst Ruhephasen zu geben, in denen sie heilen und regenerieren können, bringt einen schlussendlich deutlich schneller wieder vollständig auf die Beine, als man es von der einen oder anderen Abkürzung erwarten würde.

„Wenn du in Eile bist, mache einen Umweg.“
(Weisheit des Zen-Buddhismus)




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